Forderung einer intersektionalen Diversitätsförderung
Kopie des Offenen Briefes von
EUCREA e.V. in Kooperation mit dem „Netzwerk nicht behinderter und behinderter Tanz- und Theaterschaffender“
An die Staatsministerin für Kultur und Medien Frau Monika Grütters
Hamburg 8.3.2021
Aus aktuellem Anlass:
Forderung einer intersektionalen Diversitätsförderung durch die Bundespolitik
unter Berücksichtigung von Künstler*innen mit Behinderung
Eine Stellungnahme zum Beschluss des Bundeskabinetts zur Förderung von kulturellen
Integrationsangeboten und -konzepten im Rahmen des Nationalen Aktionsplans kulturelle
Integration
Sehr geehrte Frau Grütters,
die Forderung nach mehr Diversität – nicht nur im Kunst- und Kulturbetrieb – ist in Deutschland in
aller Munde.
Am 03.02.2021 hat das Bundeskabinett die verstärkte Förderung von kulturellen Integrations-
angeboten und -konzepten im Rahmen des Nationalen Aktionsplans kulturelle Integration
beschlossen. Auch wenn in der aktuellen Veröffentlichung von der „Teilhabe aller Menschen“
gesprochen wird, soll sich die Förderung auf den Nationalen Aktionsplan Integration beziehen, der
„die Gestaltung der Integration der Bevölkerung mit Migrationshintergrund“ thematisiert und durch
die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Frau Staatsministerin Widmann-Mauz, koordiniert
werden soll.
Dass Maßnahmen gegen Ausgrenzung, Rassismus und Diskriminierung seitens der Bundespolitik
vorangetrieben werden, begrüßen wir sehr. Die Entwicklung des Nationalen Aktionsplanes kulturelle
Integration finden wir wichtig, zumal konkrete Schritte benannt werden und deren Umsetzung auch
mit finanziellen Mitteln hinterlegt ist.
Wir möchten dazu allerdings anmerken, dass sich die geplanten Maßnahmen zur Diversitätsentwicklung im Rahmen des Nationalen Aktionsplanes kulturelle Integration ausschließlich auf
Menschen mit zugeschriebenem Migrationshintergrund beziehen und - nicht wie in der Pressemitteilung angegeben - auf die „Teilhabe aller Menschen“. Als Beispiel wird in der Veröffentlichung
auf das von der Kulturstiftung des Bundes aufgesetzte Programm "360° - Der Fonds für Kulturen der
Stadtgesellschaft" verwiesen – ebenfalls eine Maßnahme, die sich insbesondere auf Menschen mit
Migrationsgeschichte bezieht und andere gesellschaftliche Gruppen, wie z.B. Menschen mit einer
Behinderung, nicht berücksichtigt.
EUCREA und viele Unterzeichner haben 2018 das Positionspapier „Diversität im Kunst und Kulturbetrieb: Künstler*innen mit Behinderung sichtbar machen“ veröffentlicht. In dem Papier wurde darauf hingewiesen, dass Menschen mit Behinderung bei der Ausschreibung von strukturellen Programmen oder im Sinne einer diversitätsorientierten Förderpolitik vergleichsweise wenig berücksichtigt werden bzw. nicht einmal genannt werden. Das Positionspapier von EUCREA skizziert, dass eine besondere Förderung dieses Personenkreises nicht nur aufgrund einer vorliegenden Benachteiligung durch eine Behinderung notwendig ist, sondern insbesondere auch aufgrund struktureller Diskriminierungen. Das System der Behindertenhilfe in Deutschland hat zur Herausbildung einer Parallelgesellschaft in allen gesellschaftlich relevanten Bereichen geführt - nicht zuletzt im Bereich der kulturellen Förderpolitik. Nach wie vor finden Menschen mit Behinderung, die eine künstlerische Laufbahn einschlagen wollen, kaum Möglichkeiten hierfür. Sie sind somit einer doppelten Benachteiligung ausgesetzt: Neben der Behinderung schränken auch die mangelhaften Qualifizierungsmöglichkeiten die Möglichkeit künstlerischer Teilhabe stark ein.
Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und sich somit zum Ergreifen geeigneter Maßnahmen verpflichtet. Der 2011 dazu entwickelte und 2016 überarbeitete Nationale Aktionsplan, in dem das Thema Kultur sowieso schon nur am Rande erwähnt wird, wird auch in den Programmen der Beauftragten für Kultur und Medien bisher nur punktuell berücksichtigt. Eine strukturelle Maßnahmeplanung, die die Zielerreichung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bereich Kultur anstrebt, liegt bisher nicht vor.
Obwohl 7,9 Millionen Menschen (immerhin 9,5 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands) mit einer Schwerbehinderung leben, hat die Pandemie erneut verdeutlicht, dass dieser Personenkreis politisch nicht mitgedacht wird. Deutlich wird dies in Bezug auf Themen wie Einschränkung von Freiheitsrechten innerhalb der Wohn- und Arbeitseinrichtungen der Behindertenhilfe und der Nichtbeachtung des Personenkreises hinsichtlich der Impfstrategie.
Um diese Situation zu verändern, ist ein gesellschaftliches Umdenken notwendig. Die BKM kann hier
eine Schlüsselposition einnehmen. Kunst und Kultur sind in besonderem Maße geeignet, Zeichen zu
setzen.
Deutschland verfügt über eine große Zahl an Akteuren, die über die Jahre ein hohes Maß an Wissen,
Erfahrung und Kompetenz zum Thema gesammelt haben. Es gilt, dieses Potential im Sinne der
Gestaltung einer Vielfaltsgesellschaft zu nutzen, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen.
Wir fordern:
Ein umfassendes Inklusionsverständnis der BKM im Kulturbereich, das alle gesellschaftlichen
Gruppen berücksichtigt und thematisiert.
Bekenntnis der BKM zur Ausweitung der Aktivitäten bezüglich der Umsetzung der Forde- rungen des Nationalen Aktionsplan 2.0 zur UN-Behindertenrechtskonvention über punktuelle Maßnahmen hinaus
Entwicklung eines Strategiepapiers in Zusammenarbeit mit relevanten Akteuren zur
Umsetzung von strukturverändernden Maßnahmen zugunsten von Menschen mit
Behinderung im Bereich Kunst und Kultur unter Berücksichtigung der Handlungsebenen
Ausüben einer künstlerischen Tätigkeit, Ausbildung, Kulturelle Bildung und Barrierefreiheit
Aufforderung weiterer Ministerien (Bildung, Arbeit, Soziales) zur aktiven Mitwirkung an
der Umsetzung von Querschnittsaufgaben
Vereinbarung eines Maßnahme- und Handlungsplans mit zivilen und öffentlichen Organen
im Bereich Kunst und Kultur, Bildung und Arbeit
Wir freuen und über Ihre Mitwirkung!
Mit freundlichen Grüßen
Die Unterzeichnenden
Eine Liste der Unterzeichnenden, zu denen auch das Festival Theaterformen gehört, findet sich auf der Homepage von Eucrea unter folgendem Link https://www.eucrea.de/aktivita...